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EXPERIMENTE AUS DEM KÖRPEREIGENEN SPEICHER


Interaktive CD-ROM Performance


2000  Deutschherrenkapelle, Saarbrücken
2001  Begleitprogramm zur Joan Jonas Ausstellung, Stuttgart


In ihrer Performance lotet Klaudia Stoll die physischen und psychischen Kräfte ihres Körpers aus. Der Körper, welcher untersucht wird, ist gleichzeitig der untersuchende Körper: Subjekt und Objekt fallen in eins zusammen. Die philosophisch über mehrere Jahrhunderte fest geschriebenen Grenzen zwischen Welt und Mensch verschmelzen im ausführenden Subjekt der Künstlerin. Doch so weltbewegend ist diese Aktion nur auf den ersten Blick, denn im aktuellen Diskurs, der um die Individualität und die conditia humana geführt wird, bröckeln die philosophischen Fundamente angesichts von künstlich reproduzierbaren Körpern. Blicken wir in die Kunstgeschichte der 60er und 70er Jahre, so treffen wir häufig auf Künstler/-innen, welche den eigenen Körper als Ausdrucksmittel untersuchten. Vierzig Jahre später können die Künstler/-innen auf das Wissen um spektakuläre Aktionen von verstümmelten und gequälten Körpern zurückgreifen, ohne sich selbst den manchmal lebensbedrohlichen Aktionen aussetzen zu müssen. Aktionismus und Happening wurden ein gutes Stück weit getragen vom Mitleiden, von der (An-)Teilnahme am Schmerz, aber auch – dies muss gesagt werden – von der Gier nach Sensationen. Im Vergleich mit solchen Spektakeln muten Stolls Performationen harmlos, zurückhaltend, beinahe vorsichtig an. Jedoch, es geht nicht darum, den Betrachtern das inszenierte Martyrium des Körpers zu bieten, sondern um das Sichtbarmachen von Kräftespannungen im bewegten und ruhenden Körper. Phänomene, die sich im Inneren des Körpers abspielen, werden durch die schweren Gewichte der Kurzhanteln nicht nur symbolisch, sondern tatsächlich nach außen, in den Raum transportiert. Die Performerin bearbeitet und gestaltet sich dabei selbst, wobei ich die Aktion als ein “geschlossenes Kunstwerk” bezeichnen würde, denn die sinnlichen Kontaktmöglichkeiten zur Welt außerhalb des Körpers verschließt sie durch die Hanteln. Die Körperöffnungen werden symbolisch verschlossen, indem durch eine sichtbare Kraftanstrengung die Sinnesorgane geschlossen gehalten werden. Doch der Leib, welcher willentlich und bewusst für den sinnlichen Kontakt nach “außen” verschlossen wird, öffnet sich auf transzendente Weise doch für die Welt: die sichtbare ist dies jedoch nicht. Wie geschieht dies? Kurz vor dem Schluss des Stückes handhabt Stoll die Hanteln wie mentale Fühler. Sie presst sie an ihre Schläfen, rutscht rückwärts auf den Knien durch den Raum und stellt dabei fortwährend den Kontakt zum Boden her, indem die Hanteln über den Boden schleifen. Dann bewegt sie sich nicht mehr, sie ruht, und ihre Fingerspitzen gleiten vage, vorsichtig tastend über den Boden. In diesem knieenden, lastenden, schwarz gekleideten, und schwer in sich ruhenden Frauenkörper, der zusätzlich den metallisch-urtümlichen Kontakt zum Boden gefunden hat, dabei aber gleichzeitig ein frühes, kindliches Erfühlen der Welt zeigt, liegt das bildliche Symbol für die Dualität von Körper und Geist. Die blockhafte und als Form geschlossene Gestalt verschmilzt mit der Erde, indem sie über eine erdhafte Substanz die geistige “Leitung” herstellt. Klaudia Stoll nähert sich in diesem Bild – über die Körperarbeit ihrer Lehrerin Ulrike Rosenbach – dem Werkbegriff von Joseph Beuys, wenn man etwa an Werke wie das “Erdtelefon” oder “Unschlitt - Tallow” denkt, die auch einen ganz starken, metaphysischen Grundtenor der Sichtbarmachung von mentalen und realen Kräften haben. Der Körper ist ein Speicher nicht nur des Bewusstseins, welches hauptsächlich seine Informationen über die Sinnesorgane empfängt, sondern er ist ebenso ein Speicher von inversem Wissen, der durch die Arbeit am und mit dem Körper geöffnet werden kann.

Dr. Gerhard Glüher

 
     
 
 
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